Breathwork: Die Kraft des Atems entfesseln
Manchmal braucht es keinen neuen Gedanken. Kein weiteres Buch. Kein Gespräch.
Manchmal braucht es nur: einen einzigen bewussten Atemzug.
Er kommt von innen, kostet nichts und ist immer da – und doch schenken wir ihm kaum Aufmerksamkeit: unserem Atem. Dabei ist er weit mehr als bloße Funktion. Atemarbeit – oder Breathwork – ist ein direkter Weg zu Präsenz, Regulation und innerer Transformation. Sie ist uralt und zugleich hochmodern. Eine Brücke zwischen Körper, Geist und Seele. Und oft genau das, was wir vergessen haben: zu atmen, statt zu funktionieren.
Was ist Atemarbeit (Breathwork)?
Atemarbeit umfasst bewusst gesteuerte Atemtechniken, mit denen wir das Nervensystem regulieren, Emotionen lösen, Bewusstseinszustände verändern und Heilungsprozesse unterstützen können. Sie basiert auf dem einfachen Prinzip: Wenn wir unseren Atem verändern, verändert sich unser Zustand.
Dabei gibt es ganz unterschiedliche Formen – von sanften Atemübungen zur Beruhigung bis hin zu intensiven, tranceartigen Atemreisen, die emotionale Durchbrüche ermöglichen.
Breathwork wird mittlerweile in vielen Feldern angewendet:
- in der Psychotherapie (z. B. bei Traumaarbeit)
- in Körpertherapie und Coaching
- in der Spiritualität und Meditation
- in der Selbstregulation im Alltag
Warum wirkt Breathwork so tiefgreifend?
Der Atem ist eine der wenigen Funktionen im Körper, die sowohl automatisch als auch willentlich steuerbar sind. Er steht damit im direkten Dialog mit dem autonomen Nervensystem. Wenn wir flach atmen, signalisiert das unserem Körper Gefahr – wir bleiben im Sympathikus, im Überlebensmodus. Atmen wir hingegen tief und rhythmisch, aktivieren wir den Parasympathikus – also Ruhe, Verdauung, Heilung.
Hinzu kommt: Emotionen wie Angst, Wut oder Trauer sind oft im Atem „eingefroren“. Wer sie nicht durchlebt, hält unbewusst auch den Atem an. Durch gezielte Atemarbeit kann genau das wieder ins Fließen kommen.
Was kann Atemarbeit bewirken?
Die Liste der möglichen Effekte ist beeindruckend – körperlich, emotional und mental:
- Stressabbau: Regelmäßige Atemarbeit reduziert die Aktivität des Stresszentrums im Gehirn (Amygdala) und stärkt die Regulation.
- Emotionale Befreiung: Unterdrückte Gefühle können sich durch das Atmen lösen – ohne Worte.
- Klarheit und Fokus: Der Geist wird ruhiger, klarer. Gedanken ordnen sich von selbst.
- Stärkung des Immunsystems: Tiefes Atmen verbessert die Sauerstoffversorgung und wirkt entzündungshemmend.
- Verarbeitung von Trauma: Breathwork kann das Nervensystem nach Schock- oder Entwicklungstrauma sanft neu regulieren (z. B. in Verbindung mit somatischer Arbeit).
- Spirituelle Erfahrungen: Viele berichten von tiefer Verbundenheit, inneren Bildern, Einsichten oder ekstatischen Zuständen.
Breathwork ist also kein Wohlfühl-Tool – sondern kann echte, tiefgreifende Veränderung bewirken.
Wie wird Breathwork praktiziert?
1. Sanfte Atemübungen zur Selbstregulation
Diese Übungen eignen sich für den Alltag – bei Stress, innerer Unruhe oder Schlafproblemen:
- 4–7–8-Atem: 4 Sekunden einatmen, 7 Sekunden halten, 8 Sekunden ausatmen. Wirkt stark beruhigend.
- Box-Breathing: 4 Sekunden einatmen – 4 halten – 4 aus – 4 halten. Baut Resilienz auf, besonders bei Angstzuständen.
- Nasenwechselatmung (Nadi Shodhana): Eine yogische Atemtechnik, die ausgleichend auf beide Gehirnhälften wirkt.
2. Aktivierende Atemtechniken
Diese Formen nutzen intensives Atmen über einen längeren Zeitraum:
- Verbundenes Atmen (Conscious Connected Breathing): Es gibt keine Atempause zwischen Ein- und Ausatmung. Der Atem kreist gleichmäßig, oft über 20–60 Minuten. Emotionen und Körperempfindungen werden dabei bewusst durchlebt.
- Holotropes Atmen (nach Stanislav Grof): Eine tiefgehende Atemreise, oft in Gruppen, mit Musik und intensiver Begleitung. Ziel ist eine Art „innerer Reise“, ähnlich einer psychedelischen Erfahrung.
- Rebirthing: Ähnlich wie verbundenes Atmen, aber mit Fokus auf die Heilung der Geburtserfahrung und frühkindlicher Prägungen.
3. Atemarbeit in Bewegung
Auch Bewegung kann mit dem Atem verbunden werden – etwa im Yoga, Qi Gong, Tanz oder freien somatischen Praktiken. Der Atem wird dabei zum Taktgeber, zur Quelle der Bewegung.
Was braucht es für eine Breathwork-Session?
- Einen sicheren Raum
- Idealerweise einen erfahrenen Atem-Coach oder Therapeut*in (vor allem bei Trauma)
- Zeit und Bereitschaft, sich auf den Prozess einzulassen
- Eine Matte, Decke, evtl. Musik und Augenbinde
Wichtig: Breathwork kann sehr intensiv sein. Menschen mit Herzerkrankungen, Epilepsie, Schwangerschaft oder schweren psychischen Erkrankungen sollten vorher Rücksprache mit Fachpersonen halten.
Was macht Breathwork so besonders?
Breathwork ist keine Technik im klassischen Sinn – es ist ein Zugang.
Ein Zugang zu dem, was unter der Oberfläche liegt. Zu dem, was unser Körper schon lange spürt. Es ist ein Weg zurück in den Kontakt mit uns selbst – jenseits von Leistung, Jenseits von Maske, jenseits von Konzept.
Wenn wir atmen, wie wir wirklich sind, kommen wir wieder bei uns an.