Metastudie über Spiritualität und psychische Gesundheit: Ein vielschichtiger Zusammenhang
In einer Welt, die zunehmend von Stress und Hektik geprägt ist, suchen immer mehr Menschen nach Sinn und Orientierung in spirituellen Praktiken und religiösen Überzeugungen. Doch wie wirken sich diese auf die psychische Gesundheit aus? Eine Metaanalyse von Zwingmann und Hodapp aus dem Jahr 2017 gibt dazu aufschlussreiche Antworten. Diese Untersuchung, die 67 Studien aus dem deutschsprachigen Raum mit insgesamt 119.575 Teilnehmer*innen umfasst, beleuchtet die komplexen Wechselwirkungen zwischen Spiritualität, Religiosität und psychischer Gesundheit.
Die Ergebnisse der Metaanalyse
Die Studie zeigt einen signifikanten, wenn auch schwachen positiven Zusammenhang zwischen Religiosität/Spiritualität und psychischer Gesundheit. Dies bedeutet, dass Menschen mit einer spirituellen oder religiösen Orientierung tendenziell besser mit Stress, Depression und Angst umgehen können. Besonders positiv fielen Überzeugungen auf, die mit einer gefühlten Sinnhaftigkeit des Lebens und einer festen inneren Wertebasis verbunden sind und so zur Spiritualität sowie Gesundheit beitragen. Diese Aspekte schienen das allgemeine Wohlbefinden der Befragten zu steigern.
Interessanterweise stellte die Analyse auch fest, dass negative religiöse Bewältigungsstrategien eine deutliche Belastung für die psychische Gesundheit darstellen. Hierzu gehört beispielsweise das Empfinden, von Gott bestraft oder verlassen zu sein. Solche negativen Interpretationen können zu einer Verschlechterung der psychischen Gesundheit führen und bestehende Symptome wie Angst oder Depression verstärken.
Erklärungen für die positiven Effekte
Die positiven Effekte von Spiritualität und Religiosität auf die psychische Gesundheit lassen sich durch mehrere Mechanismen erklären:
- Soziale Unterstützung: Gemeinschaften, die durch spirituelle oder religiöse Überzeugungen geprägt sind, bieten oft ein starkes soziales Netz. Diese Unterstützung kann helfen, Stress abzubauen und emotionale Belastungen zu bewältigen. Spiritualität und Gesundheit sind hier eng miteinander verknüpft.
- Sinnhaftigkeit: Spirituelle und religiöse Praktiken können dazu beitragen, dem Leben eine tiefere Bedeutung zu geben. Dieses Gefühl von Sinnhaftigkeit kann besonders in schwierigen Lebenssituationen stabilisierend wirken.
- Emotionsregulation: Meditation, Gebet oder andere spirituelle Praktiken fördern die Achtsamkeit und können dazu beitragen, negative Emotionen zu reduzieren.
- Gesundheitsfördernde Rituale: Viele religiöse und spirituelle Traditionen beinhalten Rituale, die eine gesunde Lebensweise fördern, wie zum Beispiel Alkoholverzicht oder regelmäßiges Fasten.
Weitere Ergebnisse der Studie
- Unterschiede in der Wirkung von Religiosität und Spiritualität
- Die Studie unterscheidet klar zwischen Religiosität (institutionalisiert, gemeinschaftsorientiert) und Spiritualität (individuell, oft unabhängig von Religion).
- Religiöse Aktivitäten wie das regelmäßige Besuchen von Gottesdiensten korrelieren positiv mit sozialer Unterstützung und Resilienz.
- Spirituelle Praktiken, z. B. Meditation oder Achtsamkeit, haben eine stärkere Verbindung zu individuellen Bewältigungsmechanismen und innerem Wohlbefinden.
- Geschlechtsspezifische Unterschiede
- Frauen zeigen generell eine stärkere Verbindung zwischen Religiosität/Spiritualität und psychischer Gesundheit. Dies wird auf die höhere Bedeutung von sozialen Bindungen und emotionaler Unterstützung in spirituell/religiösen Gemeinschaften zurückgeführt.
- Altersabhängige Effekte
- Mit steigendem Alter nimmt der Zusammenhang zwischen Religiosität/Spiritualität und psychischer Gesundheit zu. Besonders im hohen Alter kann eine spirituelle Orientierung helfen, mit Verlusten, Einsamkeit und der Endlichkeit des Lebens umzugehen.
- Einfluss spezifischer religiöser Bewältigungsstrategien
- Positive Bewältigungsstrategien (z. B. Gebet, das Gott als Quelle der Stärke sieht) fördern die Resilienz und tragen zu einem besseren Umgang mit Krisen bei.
- Negative Bewältigungsstrategien (z. B. Schuldgefühle oder das Gefühl, von Gott bestraft zu werden) wirken sich stark negativ aus, indem sie Stress und emotionale Belastung erhöhen.
- Kulturelle Unterschiede
- Obwohl die Metaanalyse sich auf den deutschsprachigen Raum konzentriert, deuten andere Studien darauf hin, dass kulturelle Unterschiede die Rolle von Religiosität und Spiritualität stark beeinflussen. In individualistischen Kulturen wird Spiritualität stärker mit Selbstverwirklichung verbunden, während in kollektivistischen Kulturen Religiosität oft eng mit sozialer Integration verknüpft ist.
- Psychische Erkrankungen
- Für Menschen mit bestehenden psychischen Erkrankungen kann Religiosität/Spiritualität sowohl hilfreich als auch hinderlich sein:
- Positiv: Unterstützungsnetzwerke und Rituale können Halt bieten.
- Negativ: Schuldgefühle und religiöse Konflikte können Symptome verschlimmern.
- Für Menschen mit bestehenden psychischen Erkrankungen kann Religiosität/Spiritualität sowohl hilfreich als auch hinderlich sein:
Kritische Reflexion
Die Autoren betonen, dass die Ergebnisse vorsichtig interpretiert werden sollten, da der Zusammenhang zwischen Religiosität/Spiritualität und psychischer Gesundheit nur schwach ausgeprägt ist. Zudem gibt es methodische Herausforderungen:
- Selbstberichtsmethoden: Viele Studien basieren auf subjektiven Angaben der Teilnehmenden.
- Kausalität: Es bleibt unklar, ob Religiosität/Spiritualität tatsächlich zu besserer psychischer Gesundheit führt oder ob Menschen mit besserer psychischer Gesundheit eher religiös/spirituell werden.
Die Metaanalyse von Christian Zwingmann und Bastian Hodapp (2017) trägt den Titel “Religiosität/Spiritualität und psychische Gesundheit: Zentrale Ergebnisse einer Metaanalyse über Studien aus dem deutschsprachigen Raum”. Sie wurde u.a. in der Fachzeitschrift Spiritual Care veröffentlicht.