Die Gesellschaft betrachtet Sucht oft als moralisches Versagen oder Willensschwäche. Wer trinkt, raucht, Drogen nimmt oder zwanghaft spielt, dem fehlt angeblich die nötige Disziplin. Entsprechend sind auch die Maßnahmen: Strafen, Entzug, Kontrolle. Doch all diese Ansätze kratzen nur an der Oberfläche. Denn Sucht ist nicht die eigentliche Krankheit – sie ist ein Symptom. Sie ist der sichtbare Ausdruck eines viel tieferliegenden Leidens, eines Schmerzes, der meist lange vor dem ersten Konsum beginnt. Gabor Maté bringt es auf den Punkt: „Die Frage ist nicht: Warum die Sucht? Sondern: Warum der Schmerz?“
„Nicht alle traumatisierten Menschen werden süchtig, aber alle Süchtigen sind traumatisiert.“
Maté, ein renommierter Arzt und Suchtexperte, sieht Sucht als eine Überlebensstrategie. Menschen greifen zu Substanzen oder zwanghaften Verhaltensweisen, weil sie innere Wunden betäuben wollen – oft Wunden, die in der Kindheit geschlagen wurden. Er schreibt: „Nicht alle traumatisierten Menschen werden süchtig, aber alle Süchtigen sind traumatisiert.“ Das bedeutet nicht, dass jede Abhängigkeit aus einem dramatischen Ereignis entsteht. Trauma kann subtil sein: emotionale Vernachlässigung, fehlende Sicherheit, das Gefühl, nicht genug zu sein. Ein Kind, das nicht gesehen oder geliebt wird, entwickelt Strategien, um mit diesem Mangel umzugehen – Rückzug, Anpassung oder eben das Streben nach externen Betäubungsmitteln.
Carl Gustav Jung sah die Sucht als eine spirituelle Krise, als einen missverstandenen Versuch, Ganzheit zu erlangen. „Jede Sucht ist letztlich die Suche nach sich selbst“, schrieb er. Der Alkoholiker, der Spielsüchtige, der Drogensüchtige – sie alle suchen Erlösung, Frieden, Trost. Doch sie finden nur eine endlose Wiederholung von Exzess und Absturz, von…
